Zacher
Neulich hörte ich im Radio, der Schauspieler und Musiker Rolf Zacher sei im Alter von 76 Jahren in Hamburg gestorben. Tage später hieß es, Sterbeort sei nicht Hamburg, sondern Büdelsdorf gewesen. Ich war sehr überrascht und fragte mich, ob es hier um den Zacher ging, an den ich mich erinnerte. Wie konnte man mit einem Lebensstil, der, bei aller gebotenen Zurückhaltung, nur mit »Strictly Rock ‘n‘ Roll« zu beschreiben ist, 76 Jahre alt werden? Und wieso stirbt man dann in einer Seniorenwohnanlage in Büdelsdorf? In einem Bericht der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung fand ich schließlich den klärenden Hinweis: Nach emsiger Recherche habe man herausgefunden, dass der Verblichene noch kurz vor seinem Ableben eine Mitarbeiterin der Wohnanlage angesprochen und sie in seiner bescheidenen Art aufgefordert hat: »Google mich. Ich bin berühmt.« Nun wusste ich, Rolf war tatsächlich gestorben. In Büdelsdorf.
Unsere Wege kreuzten sich im Sommer 1985 in Berlin. Durch meinen WG-Mitbewohner Stefan hatte ich einen gut bezahlten Job als Fahrer bei der »Fuzzi Filmproduktion« bekommen. Stefan hatte sich kurz vorher von seinem Vater ein Vorerbe in Höhe von 100.000 Mark auszahlen lassen und damit alles auf eine Karte gesetzt: Er investierte den gesamten Betrag in einen von »Fuzzi« produzierten Kinofilm mit dem passenden Titel »Va Banque«. Konzept von Regisseur und Produzentin war es, einen eher dürren Plot mit einer ebenso überraschenden wie prominenten Besetzungsliste derart aufzuwerten, dass der Streifen ein Kinohit werden musste. So durften neben echten Schauspielprofis wie Rolf Zacher oder dem gerade aus der DDR ausgebürgerten Winfried Glatzeder auch mehrere Herren in »Va Banque« auftreten, die als Kinostars bisher wenig auf sich aufmerksam gemacht hatten: der aufstrebende Grünen-Politiker und spätere Bundesaußenminister Joschka Fischer und die Rockmusiker Rio Reiser, Achim Reichel, Willy DeVille und Kevin Coyne. Die Story des Films erinnere ich so: Drei Enddreißiger in früher Torschlusspanik wollen ihrem Leben noch einmal einen Kick geben und beschaffen sich das dafür notwendige Kleingeld durch einen Überfall auf einen Geldtransporter. Ein schmieriger Kleinkrimineller erfährt, dass sie hinter dem Überfall stecken, und erpresst sie. Joschka Fischer kommentiert, als dessen Komplize Puhdy, die Übergabe der Beute – gleichzeitig seine weitere Karriere antizipierend – mit dem Satz »Am Ende wird die Ente fett«.
Trotz vieler Querelen im Team genoss ich die Arbeit als Produktionsfahrer. Weil nie im Studio, sondern immer auf Berliner Straßen und Plätzen, in Kneipen und Wohnungen gedreht wurde, lernte ich die Stadt in einem schicken neuen VW-Bulli, der mir rund um die Uhr zur Verfügung stand (Parktickets zahlte die Produktion), noch einmal ganz neu kennen. Zwei Monate lang fuhr ich Scheinwerfer, Filmrollen und vor allem Darsteller durch die Stadt. Zu Winne Glatzeder und Achim Reichel entwickelte sich bald ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Mit Joschka Fischer fuhr ich jeden Morgen erstmal zum Bahnhof Zoo, um Zeitungen zu kaufen. »Ich muss ja nachlesen, ob ich Minister werde«, pflegte er zu sagen.
Dann kam Zacher. Eigentlich hatte er kein Hotel und auch keinen Fahrer haben wollen. Doch sein Dodge-Wohnmobil mochte, gerade in Berlin angekommen, nicht mehr anspringen, Ersatzteile waren in Deutschland kaum zu bekommen. Mein erster Zacher-Auftrag war es deshalb, mit ihm den Dodge abzuschleppen. Bevor es losging zeigte er mir noch stolz das Interieur des Wohnmobils. Neben dem Lenkrad war ein Tischchen installiert, auf dem alle Utensilien zur Herstellung von Joints bereit lagen. Ich war sicher, dass er für solche Handarbeiten auf der Autobahn nicht rechts ran fuhr. Auf der Abschleppfahrt riss mitten auf einer verkehrsreichen Kreuzung das Seil, weil ich zu ungeschickt angefahren war. Unter wüsten Flüchen sprang Zacher aus dem Dodge, setzte sich auf die Kreuzung, um das Seil wieder zusammenzuknoten. »Rolf, wir verursachen hier einen riesigen Stau, lass uns Dein Auto erstmal an die Seite schieben«, flehte ich ihn an. »Wat willst Du denn, Du Spießer?« brüllte er zurück, »Det sind doch allet nur Regeln!«
Zehn Drehtage lang durfte ich Zacher nun betreuen. Morgens im Hotel musste ich ihn wecken, weil das Personal ihn möglichst nicht ansprechen wollte – schon gar nicht vor 12 Uhr mittags. Beim Frühstück, das ihm ans Bett serviert wurde, drängte ich ihn regelmäßig, sich zu beeilen, weil ich meinen Zeitplan einhalten musste. Immer wenn er dann den ersten Joint des Tages im weich gekochten Ei ausdrückte, überkam mich leichte Übelkeit. Vom Hotel ging‘s ins Produktionsbüro, wo er durch die geöffnete Klotür während seiner Sitzungen der Produzentin und dem Sekretariat ausführliche Vorträge hielt. Am Set jedoch zeigte er, was er wirklich drauf hatte: Minutenlang pumpte er sich mit Adrenalin und Testosteron auf, um sich dann geradezu in die Szene zu stürzen. Textsicher und professionell wie er war, musste seinetwegen nie etwas zweimal gedreht werden. Die Figur, die er spielte, hieß übrigens »Zacher«.
Beim Abschied nach seinem letzten Drehtag kam Zacher noch einmal zu mir. »Na, Kleena! Du hast janz schön Stress mit mir jehabt, wa?«, sagte er mit sanfter Stimme und drückte mir ein großes Stück Haschisch in die Hand. Dafür hatte ich nicht wirklich eine Verwendung. Aber es ist ja immer die Geste, die zählt.
Photo Credit: Elke Wetzig
License: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0