Sex & Geld
Neulich, am Himmelfahrtswochenende, war ich mit meiner Gattin in Berlin. Ich wollte zuerst zu Hause bleiben, denn schließlich musste ich noch eine Kolumne schreiben. Doch die Aussicht, in der Hauptstadt alte Freunde zu treffen, anstatt – in der vagen Hoffnung, meinem Gehirn einen brauchbaren Text abringen zu können – zuhause stundenlang auf und ab zu laufen, war einfach viel zu verlockend. So fuhr ich mit.
In einem schönen Wohnhaus im Stadtteil Moabit wohnen Elke, eine Künstlerin, und ihr Mann Richard, ein Psychotherapeut, Beziehungsberater und Sachbuchautor. Weil die beiden aber von April bis Oktober lieber in ihrem Schrebergarten sind, stellen sie die Wohnung gern Freunden zu Verfügung. Dort angekommen, rief mich meine Frau in Richards Arbeitszimmer und machte mich irritiert auf zwei Büro-Ablagekörbe aufmerksam. Einer war mit dem Wort »Sex«, der andere mit dem Wort »Geld« beschriftet. Ich konnte aufklären: Vermutlich handelte es sich hier nicht um penible Buchführung wie bei Robert Schumann, der den ehelichen Verkehr mit Clara ebenso im Familien-Logbuch verzeichnete, wie die Ausgaben für Wein, sondern um eine Sammlung von Recherche-Fundstücken für Richards nächstes Buch.
Während wir uns für zwei Tage ins Großstadtleben stürzten, ruhte sich unser alter Volvo unter einem Schatten spendenden Lindenbaum aus und wurde 48 Stunden lang nicht mehr bewegt. Am Samstag aber, beim Versuch, die Fahrertür zu öffnen, leistete das Schloss Widerstand. Der Schlüssel ließ sich mühelos in alle Richtungen drehen, ohne jedoch die Tür zu entriegeln. Leicht in Panik versuchte ich nun, das Auto mit der Fernbedienung zu öffnen. Die hatte ich zuletzt kaum noch benutzt, weil sie nur sporadisch funktioniert. So auch diesmal: Nichts rührte sich, die Zentralverriegelung verweigerte jede Reaktion. Wie konnte das passieren? Ein Volvo – mit einem Kilometerstand von 327.000 doch gerade erst eingefahren! Und nun gleichzeitig Schloss und Fernbedienung kaputt?
Wehmütig erinnerte ich mich an den VW-Käfer, den meine Eltern 1960 neu erstanden hatten. Nichts an diesem treuen Gefährt(en) konnte auch nur annähernd mit dem Begriff »Elektronik« in Verbindung gebracht werden. Elektronik gab es damals wahrscheinlich überhaupt noch nicht, folglich auch keine blöde Fernbedienung, die schon nach 19 Jahren den Geist aufgibt. Aber der Käfer hatte ZWEI Schlösser, nicht nur eins an der Fahrertür! Und zur Not konnte man auch eines der Ausstellfenster aufdrücken und mit einem Kleiderbügel den Türgriff auf der Innenseite erreichen. Unser Käfer lief und lief und lief und brauchte, zumindest nach Ansicht meiner Eltern, niemals in eine Werkstatt gebracht zu werden.
Einmal, etwa 1970, begleitete ich meinen Vater mit dem Käfer zum TÜV. »Na, haben Sie was gefunden?«, fragte er den Inspektor, als der aus dem Graben unter dem Auto hervor krabbelte. »Ja«, antwortete der Prüfer einsilbig, nahm einen kräftigen Schraubenzieher, brach damit die TÜV-Plakette aus dem Nummernschild heraus und fuhr den Wagen aus der Halle. »Passen Sie auf!«, raunte er meinem Vater anschließend zu, »Sie können den Schrotthaufen jetzt hier abholen lassen. Aber wenn ich Sie auch nur noch einen Meter damit fahren sehe, rufe ich die Polizei!« Unter leisen Flüchen wartete mein Vater ab, bis der Inspektor von der Bildfläche verschwunden war. Dann setzten wir uns wortlos in den Käfer und fuhren direkt zum nächsten VW-Händler, wo mein Vater einen 1600er Variant in kalaharibeige bestellte.
Beim 24. Versuch gelang es mir endlich, den Volvo mit der Fernbedienung zu öffnen. Auf dem Smartphone hatte ich eine Vertragswerkstatt ausgemacht, in Ku‘damm-Nähe, die auch am Samstag geöffnet hat. Dort angekommen, stellten wir unser vom Lindensaft völlig verklebtes Auto auf den Hof, zwischen zwei auf Hochglanz polierte Luxuskarossen. Um die Hilfsbereitschaft so kurz vor Feierabend etwas zu erhöhen, begrüßte ich den Verkäufer mit den Worten »Guten Tag, wir hätten gerne einen XC 90 zum Mitnehmen. Wir wollen ihn gleich fahren – Sie brauchen ihn also nicht einzupacken!« Mein Vater wäre stolz auf mich gewesen. »Kein Problem«, erwiderte der Händler, »das macht dann 56.000 bei Barzahlung.« Er erklärte uns schließlich, am Wochenende seien keine Ersatzteile für das Schloss zu beschaffen, bastelte aber noch ein wenig an der Fernbedienung, die dann auch dreimal hintereinander problemlos funktionierte.
Zurück in Moabit ließ sich das Auto zwar sofort verschließen, doch schon wieder nicht mehr öffnen. Während ich auf der Straße die Fernbedienung zerlegte und planlos an der Platine herumfummelte, holte meine Frau unser Gepäck aus der Wohnung. Keine halbe Stunde später hatte ich es geschafft – die Autotür war offen. Bevor wir uns auf den Heimweg machten, stoppten wir noch am Schrebergarten. Zuerst ging meine Frau hinein, um sich »nur ganz kurz« von den Freunden zu verabschieden; ich bewachte währenddessen das Auto mit unserem Gepäck. Als sie nach etwa 45 Minuten zurück kam, muss sie meine leichte Verstimmung gespürt haben: »Sorry, aber Richard wollte im Rahmen seiner Buchrecherche noch wissen, ob ich als Jugendliche erotische Romane gelesen habe, ob ich bestimmte Sexualpraktiken bevorzuge und ob ich später mal eine gute Rente habe.« Dann verabschiedete auch ich mich von den beiden. »Ich kann jetzt leider nicht mehr über Sex im Rentenalter plaudern, wir wollen schnell los!«, entschuldigte ich mich. »Ich muss ja noch diese Kolumne schreiben. Noch keine Idee, worüber.« »Schreib doch einfach über dieses Wochenende«, schlug Richard vor.